Ein wichtiges und gutes Urteil für alle Amazon-Händler, das aber in Zeiten von Corona nicht die Aufmerksamkeit erfahren hat, die es verdient hat. Der BGH hat nämlich bereits letztes Jahr (Aktenzeichen I ZR 193/18) entschieden, dass den Anbieter eines auf Amazon angebotenen Produkts für Bewertungen dieses Produkts durch Kunden grundsätzlich keine wettbewerbsrechtliche Haftung trifft. 

Was war geschehen?

Die Beklagte verkauft Kinesiologie-Tapes. Diese Produkte bewarb sie in der Vergangenheit damit, dass sie zur Schmerzbehandlung geeignet seien, was jedoch medizinisch nicht gesichert belegbar ist. Die Beklagte wurde daraufhin von einem Verbraucherschutzverein abgemahnt und gab daraufhin im November 2013 gegenüber dem Verein, dem jetzigen Kläger, eine Unterlassungserklärung ab und verpflichtete sich, nicht mehr mit dieser gesundheitsbezogenen Angabe die Tapes zu bewerben.

Die Beklagte bietet die Kinesiologie-Tapes ebenfalls über Amazon an. Dort wird für jedes Produkt über die EAN (European Article Number) eine diesem Produkt zugewiesene ASIN (Amazon-Standard-Identifikationsnummer) generiert, die sicherstellen soll, dass beim Aufruf eines bestimmten Produkts die Angebote sämtlicher Amazon nutzender Anbieter dieses Produkts angezeigt werden. Käuferinnen und Käufer können bei Amazon die Produkte bewerten. Amazon weist eine solche Bewertung ohne nähere Prüfung dem unter der entsprechenden ASIN geführten Produkt (und damit mittelbar allen dieses Produkt verkaufenden Händlern) zu. Folge ist, dass zu einem Artikel alle Kundenbewertungen angezeigt werden, die zu diesem – unter Umständen von mehreren Verkäufern angebotenen – Produkt abgegeben wurden. 

Auch im Januar 2017 bot die Beklagte bei Amazon Kinesiologie-Tapes an. Unter diesem Angebot waren Kundenrezensionen abrufbar, die unter anderem Hinweise wie „schmerzlinderndes Tape!“, „This product is perfect for pain…“, „Schnell lässt der Schmerz nach“, „Linderung der Schmerzen ist spürbar“, „Die Schmerzen gehen durch das Bekleben weg“ und „Schmerzen lindern“ enthielten. Der klagende Verbraucherschutzverein forderte von der Beklagten wegen angeblichem Verstoß gegen die seinerzeit abgegebene Unterlassungserklärung die Zahlung einer Vertragsstrafe. Die Löschung der Kundenrezensionen lehnte Amazon auf Anfrage der Beklagten ab. 

Der Kläger begehrt Unterlassung und Zahlung der Vertragsstrafe sowie Erstattung der Abmahnkosten. Die Beklagte habe sich nach dessen Auffassung die Kundenrezensionen zu Eigen gemacht und hätte auf ihre Löschung hinwirken müssen. Falls dies nicht möglich sei, dürfe sie die Produkte eben nicht bei Amazon anbieten 

Bisheriger Prozessverlauf: 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch aus § 8 Abs. 1, § 3a UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG (Heilmittelwerbegesetz). Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Zwar seien die in den Kundenrezensionen enthaltenen gesundheitsbezogenen Angaben irreführend. Sie stellten aber keine Werbung dar. Zumindest wäre eine solche Werbung der Beklagten nicht zuzurechnen. 

Entscheidung des Bundesgerichtshofs: 

Der Bundesgerichtshof hat die Vorinstanzen bestätigt. Das Berufungsgericht hat nach Auffassung des BGH mit Recht angenommen, dass die Beklagte für Kundenbewertungen der von ihr bei Amazon angebotenen Produkte keine wettbewerbsrechtliche Haftung trifft

Ein Unterlassungsanspruch des Klägers ergibt sich nicht aus dem Heilmittelwerbegesetz, welches Werbung für Medizinprodukte mit irreführenden Äußerungen Dritter verbietet. Die Kundenbewertungen sind zwar irreführende Äußerungen Dritter, weil die behauptete Schmerzlinderung durch Kinesiologie-Tapes medizinisch nicht gesichert nachweisbar ist. Die Beklagte hat mit den Kundenbewertungen aber nicht geworben. Die Beklagte hat weder selbst aktiv mit den Bewertungen geworben oder diese veranlasst, noch hat sie sich die Kundenbewertungen zu Eigen gemacht, indem sie die inhaltliche Verantwortung dafür übernommen hat. Die Kundenbewertungen sind vielmehr als solche gekennzeichnet, finden sich bei Amazon getrennt vom Angebot der Beklagten und werden von den Nutzerinnen und Nutzern nicht der Sphäre der Beklagten als Verkäuferin zugerechnet. 

Die Beklagte traf auch keine Rechtspflicht, eine Irreführung durch die Kundenbewertungen zu verhindern. Durch ihr Angebot auf Amazon wird keine Garantenstellung begründet. Von ausschlaggebender Bedeutung ist dabei, dass Kundenbewertungssysteme auf Online-Marktplätzen gesellschaftlich erwünscht sind und verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Das Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich zu Produkten zu äußern und sich vor dem Kauf über Eigenschaften, Vorzüge und Nachteile eines Produkts aus verschiedenen Quellen, zu denen auch Bewertungen anderer Kunden gehören, zu informieren oder auszutauschen, wird durch das Grundrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz geschützt. Einer Abwägung mit dem Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit, die als Gemeinschaftsgut von hohem Rang einen Eingriff in dieses Grundrecht rechtfertigen könnte, bedarf es hier nicht, weil Anhaltspunkten für eine Gesundheitsgefährdung bei dem Angebot von Kinesiologie-Tapes fehlen. 

Anmerkung: Das Urteil des BGH betrifft Amazon und die automatisierte Einblendung von Produktbewertungen, bei denen also keine direkte vertragliche Beziehung zwischen Verkäufer und Bewertendem bestehen muss. Die dort aufgestellten Grundsätze lassen sich nicht ohne weiteres auf andere Verkaufsplattformen oder gar den eigenen Online-Shop übertragen. Die rechtliche Bewertung dürfte dann, anders als im vorliegenden Fall, zuungunsten des Verkäufers ausfallen, wenn die Bewertungen der Kunden nicht auf eine unabhängige Verbraucherbefragung zurückzuführen sind, sondern Teil des Angebots oder Werbung für das Angebot des Verkäufers sind, z.B. weil dem Bewertenden eine Belohnung für eine Bewertung versprochen wurde. Dementsprechend sollten Verkäufer nicht die inhaltliche Verantwortung dadurch übernehmen, indem sie Bewertungen veranlassen oder gar kaufen, oder versuchen diese inhaltlich in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Ein Gastbeitrag von Daniel Atzbach, MBA. Er ist Rechtsanwalt und Partner bei Heidelberg Holst & Partner, Rechtsanwälte in Hamburg und auf Wettbewerbsrecht, Markenrecht und Urheber- und Medienrecht spezialisiert.